Ein Riesenerfolg bei den Berliner Filmfestspielen
Grund zum Strahlen hatte der 39jährige Regisseur Ang Lee aus Taiwan, als er dieses Jahr von den 43. Berliner Internationalen Filmfestspielen heimkehrte: Sein Werk Das Hochzeitsbankett wurde von Jury wie Publikum gleichermaßen bestens aufgenommen und errang in Konkurrenz mit 25 anderen Werken am 22. Februar den ersten Preis des Festivals, den "Goldenen Bären". Diese Auszeichnung für den besten Film wurde diesmal doppelt, nämlich auch an eine festlandchinesische Produktion vergeben. Die ebenfalls aus Taiwan kommende Produktion Das Land der Pfirsichblüte von Regisseur Stan Lai, die auf dem gleichnamigen Drama basiert, wurde unter 44 anderen Beiträgen für den seit sieben Jahren bestehenden "Caligari"-Jugendpreis der "Forum"-Sektion des nicht-kommerziellen Films auserwählt. Der Preis gilt als Anerkennung für besondere Kreativität. Lai's Film, der durch das Nebeneinanderlaufen dreier Handlungen Komödie und Tragödie vermischt, hatte 1992 bereits in Taiwan und in Tokio Erfolge verbucht. Durch das Aufeinanderprallen zweier thematisch wie charaktermäßig völlig verschiedener Stücke auf einer einzigen Thearerbühne und dem gleichzeitigen Verfolgen dessen, was sich im Regieeck abspielt, ergibt sich eine kombinierte, breitere Gesamtbedeutung. Rebels of the Neon God, der dritte teilnenmende Film aus Taiwan, erfreute sich in Berlin zwar keines Preises, erhielt zumindest aber gute Kritiken. Die starke Präsenz chinesischer Werke hatte zum ersten Mal in der Geschichte der Berliner Veranstaltung die Einführung des Mandarin-Chinesischen als fünfter Dolmetsch-Sprache erforderlich gemacht.
Das Hochzeitsbankett ist die amüsante Problemgeschichte des jungen homosexuellen Chinesen Kao Wei-tung (dargestellt von Winston Chao), der in New York, wo er erfolgreich Geschäfte betreibt, mit seinem Geliebten Simon (Mitchell Lichtenstein) zusammenwohnt. Auf das Drängen seiner in Taiwan lebenden Eltern (Mutter: Kui Ya-lei, Vater: Lang Hsiung), die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Enkelkind, arrangiert er eine Heirat mit der vom Festland stammenden Chinesin Wei-wei (May Chin), für welche sich durch diese Scheinehe die Probleme ihres visalosen Daseins in den USA erledigen würden. Jedoch kommen ungelegenerweise die Eltern des zukünftigen Ehemannes angereist, um der Hochzeitszeremonie beizuwohnen - aus der geplanten einfachen standesamtlichen Trauung wird ein großangelegtes chinesisches Bankett, auf dem sich allerlei witzig-gezwungene, süß-saure Situationen ergeben. Zuletzt verkompliziert sich alles noch mehr, als der Vater einen Schlaganfall erleidet, Kao dann der Mutter gegenüber in einer schweren Stunde seine Homosexualität bekennt und Wei-wei verkündet, schwanger zu sein ...
"Die Akteure in diesem Film sind Sexualitäts-, Kultur- und Generationskonflikten ausgesetzt. In einer Umgebung, wo Grenzen bedeutungslos geworden sind, werden sie sich ihrer taiwanesischen bzw. festlandchinesichen Herkunft bewußt. Mein Film handelt von Liebe und Toleranz", so Ang Lee über sein Werk. Der Regisseur gibt eine Schlüsselerklärung ab, wenn er sich im Film während des Festessens selbst unter die Hochzeitsgäste mischt und ausspricht, was den Ausschlag für die Behandlung des Themas gegeben hat: "5000 Jahre sexueller Repression", die der chinesischen Kulturgeschichte innewohnen.
Der preisgekrönte Film ist die zweite große Produktion von Ang Lee nach seinem ersten, ebenfalls erfolgreichen Streifen Pushing Hands, in dem es um die Konfikterfahrungen eines alten chinesischen Mannes und seines emigrierten Sohnes in den USA geht und der 1991 beim Filmfestival in Taipei prämiert wurde. Ang Lee begann seine Ausbildung an der Kinoabteilung der Nationalen Kunstakademie Taiwans und übersiedelte 1978 in die USA, wo er an der Universität von New York seine Filmstudien mit dem Doktorgrad abschloß. Nach einer sechsjährigen unproduktiven Phase, die sich nach den Worten Ang Lee's durch "auf die Kinder aufpassen, dasitzen und in die Luft starren" kennzeichnete, hatte er mit der hiesigen Filmgesellschaft Central Motion Picture Corp. eine Übereinkunft zur Produktion der zwei genannten Werke geschlossen. Gefilmt wurde in New York. Die Dreharbeiten für Pushing Hands dauerten 24 Tage, und Das Hochzeitsbankett war in 27 Tagen fertig; beiden gemeinsam ist der niedrige Budgetaufwand. Ang Lee berichtet, daß es der Prozeß des Filmens sei, den er am liebsten möge, "dieses angenehme Gefühl, sich mit Herz und Seele da hineinzuwerfen; obwohl es körperlich ermüdend ist, geistig aber ist es äußerst befriedigend." Über das Kunstprodukt Film entwickelte Ang Lee humorvoll-philosophisch seine eigene Theorie: "Ich habe viel Zeit für die Betrachtung der Frage aufgewendet, ob Film nun etwas Nutzloses ist oder nicht, und schlußendlich habe ich es herausgefunden. Film ist nutzlos und ich bin ein Mensch ohne Nutzen, und erst wenn wir uns zusammentun, entsteht ein sinnvolles Produkt."
Mit seinem nächsten Werk plant der Regisseur eine Ortsveränderung und möchte zum ersten Mal versuchen, in Taiwan zu drehen; die Unvertrautheit mit den hiesigen Bedingungen werde er allerdings erst überwinden müssen. In New York hatte er die Dreharbeiten in einer intensiven Abgeschlossenheit, ohne Telefon, Pressebesuche und ähnliche Störungen durchgeführt; ob die Beibehaltung dieser Arbeitsweise in Taiwan möglich ist, stellt Lee vorerst in Frage.
Das Informationsamt der Regierung hatte der preisgekrönten Produktion ursprünglich eine Unterstützung von 400 000 US$ gewährt und nach dem Anblick des prestigereichen "Goldenen Bären" noch 160 000 US$ als Belohnung dazugelegt. Nicht zuletzt wurde 1993 ja zum "nationalen Filmjahr" proklamiert, mit dem Ziel und in der Hoffnung, das Publikum zurück in die Kinosäle holen zu können. Sollte dem Hochzeitsbankett dieses vielleicht gelingen?